27.10.2015

Das Messias-Bekenntnis des Blinden


Ich glaube, wir müssen immer wieder selber erkennen, wo wir Gott wirklich brauchen in unserem Leben, so wie dieser Bartimäus, dieser blinde Bettler. Er spricht das Messias-Bekenntnis, so wie er es kann. Mehr verlangt Jesus ja gar nicht von uns.

Christliche Gemeinde
Liebe Brüder und Schwestern!

Diese Geschichte von der Heilung des Bartimäus, es ist die 6. Blindenheilung im Evangelium, ist an sich kurz, bündig, schön, einsichtig. Es würde genügen, wenn man sie alleine liest. Sie wird allerdings viel einsichtiger und reicher, wenn man sie im Kontext liest, wie man das Evangelium ja immer im Kontext lesen sollte, alle Stellen.

Jesus ist auf dem Weg nach Jerusalem. Es ist die letzte Etappe. Jericho ist 24 Kilometer von Jerusalem entfernt in der Jordansenke, die tiefste Stadt der Welt, über 200 Meter unter dem Meeresspiegel. Von nun an geht’s ziemlich steil bergauf nach Jerusalem, das über 1000 Meter hoch liegt. Heute führt eine große Autobahn diese Gegend hinauf. Früher war’s ein beschwerlicher Weg, der auch gefährlich gewesen ist. Wir kennen ja den Mann, der von Jericho nach Jerusalem geht und unter die Räuber fällt, und da kommt der barmherzige Samariter.

Es ist also das letzte Wegstück Jesu, bis, ja bis zum Ölberg und bis zu Golgota, bis zum Abendmahlsaal und bis zur Grabeskirche und bis zur Auferstehung. Und Jesus hat diesen Weg, wir haben uns damit länger beschäftigt, in drei Weissagungen seinen Jüngern angekündigt, den drei Leidensweissagungen, die uns den Sommer über beschäftigt haben.

Bei diesen drei Leidensweissagungen reagieren die Jünger ganz anders. Sie sind blind. Sie sind blind. Sie verstehen’s nicht und sie wollen’s auch nicht verstehen. Immer wieder kommt eine ganz andere Reaktion. „Meister, das soll dir nicht geschehen.“ „Wer unter uns ist der Größte?“ „Lass uns zur Rechten und Linken an deiner Seite sitzen. Lass uns mit dir herrschen.“ Das ist die Reaktion der Jünger. 

Und heute - Abschluss dieses Weges und Antwort auf diese Leidens-weissagungen ist Bartimäus, der blinde Bettler, einer, der weiß, dass er blind ist, keine Frage. Der Name wird genannt, was darauf hinweist, dass es tatsächlich so geschehen ist. Man kann nicht Geschichten erzählen und den Ort angeben und den Namen, alles zwanzig Jahre später aufschreiben und sagen: „Das Ganze ist erfunden.“ Da werden die Leute sagen: "Bist du wahnsinnig?!“ 

Ich bin jetzt 28 Jahre in Breitenlee - was vor zwanzig Jahre gewesen ist, da würden mich die Leute ja erinnern, wenn ich irgendeinen Schmäh erzähle. 
Bartimäus bei Jericho ist gegeben, real
. Ein Bettler, angewiesen auf Hilfe, ein Mensch, der davon lebt, dass andere ihm etwas zuwerfen. Und doch erwartet er sich von Jesus sehr viel. Er muss von ihm schon gehört haben, denn er ruft ihn, wie er hört, dass Jesus kommt: „Sobald er hörte, dass es Jesus von Nazareth war, rief er laut: ‚Sohn Davids, Jesus hab Erbarmen mit mir.‘“ Und die Menge, die Jesus begleitet, die Jünger und eine große Menschenmenge, heißt es, das sind die, die zuerst jubeln am Palmsonntag, wenige Tage später rufen sie: „Kreuzige ihn!“, diese wankelmütige Menge ist ärgerlich. „Und er rief noch viel lauter ‚Sohn Davids hab Erbarmen mit mir!‘“ Er bekennt Jesus, so wie er es eben vermag mit dem Wenigen seines Glaubens, aber er erwartet sich alles von ihm.

Und hier spannt sich der Bogen zum Messiasbekenntnis des Petrus bei der ersten Leidensweissagung. Denn Jesus fragt dort: „Für wen halten mich die Menschen?“ Und Petrus antwortet: „Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes!“ Und Jesus sagt: „Ja, aber er muss leiden, ans Kreuz gehen.“ „Das soll dir nicht geschehen.“ Und Jesus sagt: „Du bist ein Satan.“ Jesus sagt das nur zu zwei Menschen, dass er ein Satan ist: zu Petrus und zu Judas, interessanterweise bei der Eucharistischen Rede. Hier spannt sich der Bogen zum Messiasbekenntnis.

Denn Petrus erwartet sich von seinem Bekenntnis sehr viel, wie die anderen Jünger auch, nämlich zu herrschen, Macht auszuüben, an der Rechten des Vaters zu sitzen. Das erwartet sich Petrus. Der Blinde erwartet sich nur, dass Jesus ihm hilft. Er erwartet sich nicht große Macht und Einfluss und Herrschaft, sondern er erwartet sich, dass Jesus ihm hilft. Er, der weiß, dass er bedürftig ist, dass er arm ist, er erwartet sich die Hilfe.

Ich glaube, es kann sich da jeder seine Stelle aussuchen im Evangelium. Gehört er zur Menge, die wankelmütig ist, die mitläuft, die einmal „Ja“, einmal „Nein“ sagt, gehört er zu den Jüngern, die auch Jesus nicht verstehen, aber bei ihm bleiben bis nach Jerusalem. Oder ist er ähnlich dem Bartimäus, der weiß, dass er arm ist und dass er Hilfe braucht.

Ich glaube, das Problem unserer Zeit ist der Hochmut, dass jeder glaubt, er ist etwas Besonderes. Die geistlichen Väter Russlands haben gesagt: „Das 20. Jahrhundert ist ein Jahrhundert des Hochmuts.“ Man hat großartige Fortschritte gemacht, im wahrsten Sinn des Wortes „nach den Sternen gegriffen“, die Mondlandung, ich kann mich noch gut erinnern. Die Wissenschaft wird alles lösen, alle Probleme. Der Hunger der Welt wird einmal gelöst sein. Wir werden alles in ein Paradies verwandeln. Und dann erkennen wir, dass der Mensch dennoch arm ist.

Oder, wie ist es denn eigentlich mit der Kirche? Ich erinnere mich an die Aufbruchsstimmung der Kirche nach dem Konzil, wie großartig vieles gewesen ist. Und dann? Wo ist diese Aufbruchsstimmung geblieben? Wo sind die Leute geblieben, jetzt, da die Kirche ja in der Landessprache zu den Menschen spricht, wo sind dann die Menschen geblieben? Ist es nicht so, wie in der Offenbarung des Johannes es eigentlich heißt, das Wort, das der Auferstandene zum Engel von Laodizäa spricht: „Du bist nicht kalt und nicht warm. Aber du sagst: ‚Ich bin reich. Ich habe genug. Ich brauche nichts!‘ Und du weißt nicht, dass du elend und jämmerlich bist, arm, blind und nackt. Ich rate dir, von mir Gold zu kaufen, das im Feuer geläutert ist, und weiße Kleider, damit die Schande deiner Blöße bedeckt wird und eine Salbe, die die Blindheit deiner Augen heilt.“ Gold das im Feuer geläutert ist – der Glaube – die weißen Kleider – die Taufgnade, die erneuert wird durch die Beichte und die Salbe, die Sakramente, die wieder heilt, damit die Blindheit vorbei geht. „Du glaubst du bist reich und stark und bist arm und elend.“

Ich glaube, dass die Kirche erst einmal erkennen muss, wie bedürftig sie selber ist, dass der Mensch, der einzelne zuerst einmal erkennen muss, wie sehr er wirklich den Glauben braucht. Derjenige, der nichts braucht und der keine Sehnsucht nach dem Glauben hat, der bekommt auch nichts, weil er ja eh nichts braucht. 

Wir müssen immer wieder selber erkennen, wo wir Gott wirklich brauchen in unserem Leben, so wie dieser Bartimäus, dieser blinde Bettler. Er spricht das Messiasbekenntnis so wie er es kann. Mehr verlangt Jesus ja gar nicht von uns. Wir sollen beginnen mit dem Glauben, den wir jetzt haben, aber wir sollen uns selber erkennen, dass wir diesen Glauben brauchen, dass die Kirche diesen Glauben braucht, dass wir selber aber auch die Heilung bekommen, wenn wir darum bitten.
Amen.



Abschrift der Homilie von P. Bonifaz Tittel OSB
für die Eucharistie feiernde Gemeinde in Breitenlee 
25. Oktober 2015 –  30. Sonntag im JKB –
L1: Jer 31, 7-9
L2: Hebr 5, 1-6
Ev: Mk 10, 46-52