02.01.2016

Gott ist der Herr der Zeit


Christliche Gemeinde! Liebe Brüder und Schwestern!

Wir haben gestern Jahresschluss gefeiert und haben ein Lied gesungen, das uns sehr bekannt war, zum Jahresschluss. Es stammt vom katholischen Dichter Heinrich Bone, ein Lobpreis für dieses Jahr. Das Lied zuvor, Nr. 257 im Gotteslob, hat auch eine sehr interessante Geschichte. Der Autor ist ein zeitgenössischer Schriftsteller aus dem 20. Jahrhundert ist. Er heißt Jochen Klepper. Und wir sehen dort am Schluss des Liedes: 1937 wurde das Lied geschrieben. Da kann man sich vorstellen, welche Zeit das war - 1937. 

Jochen Klepper wurde 1903 geboren, war der Sohn eines evangelischen Pastors, wollte auch Pastor werden, war aber gesundheitlich nicht geeignet, kämpfte sein Leben lang mit der Gesundheit, auch mit Depressionen, und wurde Theologe, dann Schriftsteller, Journalist. 

Es ist genau die Zeit, in der der Nationalsozialismus aufkommt, 1933, und genau in diesem Jahr heiratet er eine dreizehn Jahre ältere verwitwete Jüdin, Johanna Stein, mit 2 Töchtern. Daraufhin bekommt er 1937 Berufsverbot und kann ein einziges Werk noch herausbringen, in dem dieses Gedicht mit dem Titel „Kyrie“ also „Herr erbarme dich“ enthalten ist. Ansonsten unterliegt er der Zensur. Der Krieg nähert sich schon, 1938: Besetzung Österreichs. Die Zeiten werden sehr düster. 

Seine Dichtung ist in erster Linie Bibelauslegung. Er ist einer, dessen Lieder in der evangelischen Kirche am meisten gesungen werden - nach Martin Luther und Paul Gebhardt. Das heißt: Er ist heute sehr bekannt und populär, weil er im Grunde Psalmen neu verdichtet oder neu den Menschen nahebringen möchte. 

Er schreibt in seinem Tagebuch gegen Ende des Jahres 1937, zu Silvester, also knapp nachdem er das Lied verfasst hat: „Nur von der Kirche her bleibt alles noch erträglich.“ 

„Nur von der Kirche her bleibt alles noch erträglich“, obwohl die Kirche damals wahnsinnig zerrissen ist zwischen Anpassung und Widerstand. „Von der Politik her ist mir alles unerträglich geworden. Das schwerste Jahr meines Lebens durfte beschlossen sein im Gebet und mit einem neuen Lied.“ Das ist das Lied, das eben, Nr. 257, vor uns liegt. Und eigentlich ist dieses Lied die Verdichtung verschiedener Psalmen. Am Beginn sagt er, dass Christus die Mitte der Zeit ist und Gott ist der Herr der Welt.

„Der du die Zeit in Händen hast, 
Herr nimm auch dieses Jahres Last 
und wandle sie in Segen. 
Nun von dir selbst in Jesus Christ 
die Mitte fest gewiesen ist,
für uns dem Ziel entgegen.“

Gott ist der Herr der Zeit.
Und in den folgenden Strophen, bis auf die letzte, die 6. dann, gibt es zwei Gedanken, die immer wiederkehren: Einerseits die Nichtigkeit des Menschen - und das hat er am eigenen Leib verspürt: Er hat Berufsverbot, seine Frau kann nicht mehr ausreisen. Er soll sich scheiden lassen. Das tut er aber dann nicht. 

Er spürt die Ohnmacht des Menschen in der Zeit, die er nicht mehr beeinflussen kann. 

Und auf der anderen Seite der allmächtige Gott.

Der Psalm 102, den er hier zugrunde legt, lautet: 
Darum sage ich: Raff mich nicht weg in der Mitte des Lebens, /
mein Gott, dessen Jahre Geschlecht um Geschlecht überdauern! 
Vorzeiten hast du der Erde Grund gelegt, /
die Himmel sind das Werk deiner Hände.
Sie werden vergehen, du aber bleibst; /
sie alle zerfallen wie ein Gewand; du wechselst sie wie ein Kleid /
und sie schwinden dahin.
Du aber bleibst, der du bist, / und deine Jahre enden nie.  

Das ist dieser großartige Psalm 102, der dann am Beginn des Hebräerbriefs zitiert wird: Die Welt ist wie ein "Gewand", das alt wird. „…Du aber bleibst, der du bist, und deine Jahre enden nie.“

Und was sind wir Menschen gegenüber diesem unendlichen Gott, der sich nie verändert, der immer großartig ist? Wir sind nur Staub. Und die Gottesfurcht ist der Beginn der Weisheit. Immer wieder sagt der Beter in den Psalmen: „Herr lehre mich meine Tage zählen, damit ich ein weises Herz bekomme.“ Unsere Jahre währen 70 Jahre, wenn’s hoch kommt sind’s 80 „Das Beste daran ist nur Mühsal und Beschwer, / rasch geht es vorbei, sie fliegen dahin.“ (Psalm 90,11). 

Das ist die Erkenntnis des Beters, dass er vor Gott schwach ist und dass Gott der Herr ist. „Du aber bleibst, der du bist und deine Jahre enden nie.“ (Psalm 102).

Und am Schluss rafft er sich dann doch durch und sagt: „Der Mensch lebt aus der Gnade.“ 

„Der du allein der Ewige heißt und Anfang 
Ziel und Mitte weißt
im Fluge unsrer Zeiten; 
bleib du uns gnädig zugewandt 
und führe uns an deiner Hand,
damit wir sicher schreiten.“

„Bleib du uns gnädig zugewandt und führe uns an deiner Hand, dass wir diese Zeit mit dir gemeinsam durchschreiten.“ Das ist ein großartiges Gedicht, aber als Christen, als Katholiken dürfen wir am Ende des Jahres und am Beginn eines neuen Jahres noch etwas dazu fügen. Es fehlt eigentlich das Wort des Dankes. Es ist eine großartige Tradition, dass wir in der Katholischen Kirche auch in schwierigen Zeiten das „Te Deum“ singen dürfen, diesen großartigen Wechselgesang zwischen Ambrosius und Augustinus in der Osternacht, wo beide, beginnend von Gott dem Vater über den Heiligen Geist über Christus, endet es mit dem Satz: „non confundar in aeternum“. 

In Ewigkeiten werde ich nicht zuschanden werden, weil ich weiß, wer hinter mir steht. Und dieses Te Deum singt die Kirche immer, hat’s auch immer gesungen. Ich kann mich erinnern, beim Begräbnis meines Vaters ist auch das Te Deum gesungen worden. Eigentlich ein großartiger Gedanke, dass er jetzt endlich eintritt in den himmlischen Lobgesang

Das ist das eine, womit wir etwas abschließen dürfen mit dem Te Deum. Das Zweite ist, dass wir heute das Fest der Gottesmutter feiern. „Selig bist du, weil du geglaubt hast.“ Die Kirche glaubt wie Maria auch geglaubt hat. Und wie glaubt denn Maria? Sagen wir es einfach mit einfachen Worten, alltäglichen Worten. Maria glaubt und lässt sich nicht verbittern. Ich bin sicher, das ist das Geheimnis eines gelungen Lebens. 

Am Beginn wird ihr schon vom greisen Simeon im Tempel gesagt: Deine Seele wird ein Schwert durchbohren.  Dein Herz wird ein Schwert durchbohren. 

Und Maria weiß das und dennoch lässt sie sich nicht verbittern. Sie versteht auch Jesus nicht. 

Bei der „Hochzeit zu Kana“: „Frau, was hab ich mit dir zu schaffen?“ Wie ist ihre Antwort: „Was er euch sagt, das tut.“ Das ist eigentlich ungeheuerlich, wie sie gelassen reagiert. „Was er euch sagt, das tut.“ 

Nicht verbittern lassen, auch in schwierigen Zeiten. Man findet immer etwas Schlechtes. Wenn man die Zeitung aufschlagt, könnte man schon bei der dritten Seite zu schimpfen anfangen oder bei der ersten Seite. Man könnte sich dauernd zu Tode ärgern über alles, was da passiert. Es ist nicht das Letzte, was geschieht.

Dann das Nächste: Ein weites Herz bekommen. Das ist eigentlich das Geheimnis auch der Benedictus-Regel. Es steht nicht in der Regel: „ora et labora et lege“. Das ist auch schön. Aber im Grunde heißt es im Vorwort: Man soll sich bemühen, die Gebote zu befolgen, damit man mit der Weite des Herzens Christus entgegenlaufen kann. 

Das ist eigentlich das Geheimnis des gelungenen christlichen Lebens: Damit man mit einem weiten Herzen Christus entgegen laufen kann. 

Das weite Herz, wo viel Platz hat, in dem nichts Böses zuhause ist. Man darf dem Bösen bei sich zuhause im Herzen keine Wohnung gewähren. Das muss man möglichst geschwind, wie Christus sagt: „austreiben und das Haus reinigen.“

Und man soll, wie der 2. Petrusbrief sagt, nicht den verderblichen Begierden dieser Welt nachjagen. Die Welt, die wir kennen, die säkulare Welt ohne Gott, lebt von der Begierde und die letztlich nur sich selbst. Sondern wir sollen darüber eigentlich erhaben werden. Und, dass wir das tun können, möchte ich schließen mit dem ältesten Mariengebet, das wir kennen, aus dem 2./3. Jahrhundert. Es ist aber sehr bekannt, wurde auch oft vertont, von Mozart zum Beispiel, „Sub tuum præsidium“.

„Unter deinen Schutz und Schirm fliehen wir,
o heilige Gottesgebärerin.
Verschmähe nicht unser Gebet in unsern Nöten,
sondern erlöse uns jederzeit von allen Gefahren,
o du glorreiche und gebenedeite Jungfrau.
Unsere Frau, unsere Mittlerin, unsere Fürsprecherin.
Versöhne uns mit deinem Sohne,
empfiehl uns deinem Sohne,
stelle uns deinem Sohne vor.“

Amen.



Abschrift der Homilie von P. Bonifaz Tittel OSB
für die Eucharistie feiernde Gemeinde in Breitenlee 
1. Jänner 2016 –  Neujahr – Maria Hochfest der Gottesmutter
L1:  Num 6, 22-27­
L2: Gal 4, 4-7
Ev: Lk 2, 16-21